Artikel aus dem „Gemeindeblatt“ der Synagogen-Gemeinde Köln, 30. Jahrgang Nr.6-7/2019
Am 24. Mai 2019 besuchten eine rund 20-köpfige Gruppe der Synagogen-Gemeinde Köln und die Mitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Köln (DIG) gemeinsam mit dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorstandsmitglied Abraham Lehrer den Landtag NRW und nahmen an einem Gespräch mit der Landtagsabgeordneten Susana dos Santos Herrmann (SPD) teil.
Die Teilnehmer wurden ausführlich mit der Aufgabe und Arbeit dieser politischen Institution bekannt gemacht und konnten nicht nur live Debatten im Parlament verfolgen (u.a. zum Thema „Kriminelle Clanstrukturen in NRW effektiv bekämpfen. Null-Toleranz-Politik auch bei Clankriminalität“), sondern z.B. auch beobachten, wie die Protokolldienste, Si-cherheits- und Reglementsdienste arbeiten.
Bei dem einstündigen Treffen mit der SPD-Abgeordneten Susana dos Santos Herrmann wurden hauptsächlich Fragen angesprochen, die die Problematik des steigenden Antisemitismus betreffen, und die aktuell vermehrt vorkommenden verbalen und physischen Angriffe auf jüdische Bür-gerInnen thematisiert.
Die Diskussionsrunde wurde vor allem durch Fragen der Jugendlichen geprägt. Bedrückend wirkten Berichte der Schüler, die in Köln unterschiedliche Schulen besuchen und mit einer Ausnahme alle von persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus an Schulen und in ihrer Freizeit berichteten.
Eine der Jugendlichen erzählte, dass sie einen Schulkomplex aus drei Schulen mit insgesamt 2.000 SchülerInnen besucht und dort eine von nur zwei jüdischen Schüle-rInnen ist. Sie werde stets auf das Judentum angesprochen, weil niemand etwas darüber wisse.
Viele Schüler wüssten überhaupt nicht, was im Zweiten Weltkrieg geschah. Erst am Ende der 7. Klasse wird das Thema angesprochen, auch die Lektüre des Tagebuchs von Anne Frank wurde entweder abgeschafft oder gekürzt, bzw. wird evtl.im Fachunterricht behandelt.
Erneut kam zur Sprache, dass sich in den Schulbüchern das Thema Juden und Judentum meistens auf die Zeit von 1933 bis 1945 beschränkt, was schon seit Jahren bemängelt wurde. Jüdisches Leben und der Beitrag jüdischer Menschen zur deutschen bzw. europäischen Geschichte und Kultur vor und nach der Schoa bleiben dabei außen vor.
Betont wurde, dass Lehrer ausgebildet sein sollten, um auf antisemitische Bemerkungen und Handlungen reagieren und mit dem Thema Nahost-Konflikt umgehen zu können. Teilnehmer, vor allem die Jugendlichen, wünschten sich ein positiveres Bild von jüdischem Leben in der Öffentlichkeit sowie einen erweiterten Blick auf jüdische Geschichte im Unterricht und mehr Unterstützung für entsprechende Projekte. Die Schüler und Studenten brauchen bei dem ansteigenden und immer offener werdenden Antisemitismus dringend Unterstützung.
Susana dos Santos Herrmann positionierte sich gegen jede Art von Antisemitismus und bekundete ihre Solidarität mit dem Staat Israel. „Diese Angriffe sind nicht nur Angriffe auf Juden, sondern auf die offene Gesellschaft im Ganzen. Köln hat nach der Schoa wieder ein lebendiges jüdisches Leben und darüber kann man sehr froh sein“, betonte sie.
Die Landtagsabgeordnete zeigte sich von den Berichten der Jugendlichen tief beeindruckt und versprach, sich weiterhin mit dem Thema zu beschäftigen. Dos Santos Herrmann kündigte außerdem an, an die Antisemitismusbeauftragte Sabine Leut-heusser-Schnarrenberger heranzutreten. „Mir ist wichtig, dass die Anregungen aus dem intensiven Gespräch mit den Jugendlichen der Synagogen-Gemeinde an den richtigen Stellen ankommen“, so die Abgeordnete abschließend.
Die entscheidende Frage wurde aber am Ende gestellt: Man spreche und diskutiere über verschiedene Probleme und verspreche einiges – aber wann werde das Ganze endlich durchgesetzt?
Jeder Abgeordnete hat die Möglichkeit drei Gruppen pro Jahr einzuladen, eine dieser Gruppen war unsere. Der Besuch wurde auch mit Unterstützung und Initiative von Angelika Scherb, Mitarbeiterin von Frau dos Santos Herrmann und stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft DIG Köln, organisiert.
Im Namen der gesamten Gruppe bedanke sich Abraham Lehrer für diese Einladung, die besonders für die jungen Teilnehmer interessant war – wie in einem Parlament diskutiert wird, wie die Regeln dafür beschaffen sind.
Susana dos Santos Herrmann dankte den jungen jüdischen Menschen für das offene Gespräch. Die Jugendliche hätten sehr emotional deutlich gemacht, welche Erfahrungen sie bereits haben, und ihr eine Vorstellung gegeben, wie jüdischer Alltag in Schulen aussieht. Sie nahm es als Auftrag für die weitere Arbeit. Abraham Lehrer lud sie in die Synagogen-Gemeinde ein, um das Gespräch fortzusetzen. Für den Herbst ist ein Termin zur Fortführung des Dialogs geplant.